Hans Klecker | Zittau
Die ersten deutschen Siedler haben in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in den waldreichen Gebieten der Oberlausitz Waldhufendörfer angelegt, in denen keine oder wenige Milzener (Slawen) wohnten.
Viele Heimatkundelehrer verkünden gebetsmühlenartig, dass es sich bei den Gründern unserer Dörfer um Franken handelt. Das ist nur richtig, wenn man damit nicht die oberdeutschen Ost- oder Mainfranken meint, die sich im Norden von Bayern, im Süden von Thüringen und im Nordosten von Baden-Württemberg heute noch Franken nennen. Das Stammland der Franken ist nicht Nordbayern, sondern das rechtsrheinische Gebiet östlich von Köln zwischen den Flüssen Lahn, Sieg, Ruhr und Lippe. Der Großstamm der Franken bildete sich durch Zusammenschluss der germanischen Brukterer, Tenkterer und Usipeter im 3. Jahrhundert heraus. Auch die Hessen, die man ursprünglich Chatten nannte, wurden in den fränkischen Stammesverband eingebunden. Die heutigen Bewohner am Rhein bezeichnen sich nicht mehr als Franken. Nur die Sprachwissenschaftler verwenden für die dortigen Mundarten Bezeichnungen wie rheinfränkisch, moselfränkisch, mittelfränkisch, ripuarisch und niederfränkisch.
Im 12. und 13. Jahrhundert verließen viele Bauern, Handwerker und niedere Adlige am Mittel- und Niederrhein und in Hessen ihre Heimat und zogen mit Hab und Gut auf der Via Regia (Königsstraße, Hohe Straße) nach Ostthüringen, in die Mark Meißen, in die Oberlausitz und nach Schlesien. Eine Ursache dieser Ostkolonisation lag in der Bevölkerungsexplosion im alten Siedlungsgebiet.
Woher wissen wir nun, dass die meisten Siedler aus Hessen und aus dem Süden des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen und aus Rheinland-Pfalz kamen? Es lässt sich an der Mundart und an den Ortsnamen erkennen. Sogar das Kennwort unserer Oberlausitzer Mundart, das ock in „kumm oack“ (komm nur), ist als „ockersch“ und „eckersch“ in den Dörfern um Köln heute noch bekannt, z. B.: do bruch mer jo eckersch (nur) dran ze tuppen `da brauch man ja nur dran zu tippen´.
Auch im Bundesland Rheinland-Pfalz gibt es Orte, in denen das Wort ecker oder öcker Verwendung findet. Die Siedler, die die Sprachformen komm nur, komm bloß oder komm doch in die Oberlausitz mitbrachten, waren offenbar in der Minderheit, legten ihre sprachlichen Eigenarten ab und passten sich der Mehrheitssprache an.
Durch Abstoßung der nebentonigen Endsilbe hat sich aus ocker(t), ocker(s), ocker(sch) oder öcker(s) das Kennwort der Oberlausitzer Mundart ock bzw. oack gebildet. Die Oberlausitzer sind Meister im Verschlucken oder Abstoßen unbetonter Endsilben, z. B.: Radebere (Schiebebock) zu Roaber, Rosenthal zu Rustl, Heidelbeerkräutich zu Heedlbärcht, Bade dich nur heute Abend! zu Boadd ´ch oack hinte!
Die 2. Lautverschiebung begann im 6./7./8. Jahrhundert in den Alpen und erfasste den oberdeutschen Sprachraum fast vollständig, den mitteldeutschen teilweise und den niederdeutschen kaum. In diesem Zeitraum wurde der stimmlose germanische Schlusslaut k bzw. ck zu ch verschoben, wie maken zu machen. Hätten die oberdeutschen Mainfranken aus dem heutigen Bayern eine alte Form unseres Wortes ock gekannt und hätten sie die Oberlausitz vor etwa 800 Jahren besiedelt, würden wir Oberlausitzer heute statt ock sicherlich och (kurzes o) sagen. Es müssen die westmitteldeutschen Rheinfranken und Hessen gewesen sein, die das alte germanische k bewahrt und mit ocker, ockert und ockers auf den Lippen unsere Heimat besiedelt haben.
Ein weiteres Bespiel ist das retroflexe "r (R)", das man, wie auch das alveolare, "gerolltes R" nennt. Dabei wird die Zunge zurückgebogen und an den Mittelteil des harten Gaumens gepresst. Sie bildet eine nach hinten geöffnete Wanne und bleibt regungslos am Gaumen kleben. Unser Oberlausitzer "r (R)" ist ein Gaumen- und Kehllaut, der von den hinteren Sprechwerkzeugen gebildet, in der Brust als Resonanzraum verstärkt und über den Rachenraum nach vorn hinausgerollt wird. Auch unser dickes „L“ ist ein Kehllaut, wobei die Zungenspitze an den Gaumen gedrückt wird. Die Bildung dieser Laute ist bei den Edelrollern in der südlichen Oberlausitz am stärksten ausgeprägt. Aber auch bei den älteren Bürgern im West- und Ostteil der Oberlausitz klingt es noch an. Dieses retroflexe bzw. zerebrale "R" kommt dem des Siegerlandes und des Wittgensteiner Landes in Nordrhein-Westfalen und dem in den mittelhessischen Regionen um Dillenburg-Herborn, im Vogelsbergkreis um Lauterbach und dem in der Wetterau um Friedberg sehr nahe. Von den Bewohnern aller sechs Gebiete heißt es, dass sie wie die Amerikaner sprächen. Diese r-Artikulation stellt heute im westmitteldeutschen Sprachraum ein mundartliches Rückzugsgebiet dar, war also vor einigen Jahrhunderten noch stärker ausgeprägt und umfasste sicherlich einen geschlossenen Großraum in Mittelhessen und im benachbarten Rheinland. In Ost- bzw. Mainfranken und in Bayern dominiert das stimmhafte, alveolare Zungen-`R´ und nicht das, was man in der Oberlausitz hört.
Das Wort Hippe für „Ziege“ gibt es auch in den fränkischen Mundarten am Rhein. Auch die Sprachlinie hinger (hinter) im Norden und hinner im Süden läuft sowohl durch das Rheinland und durch Hessen als auch durch die Oberlausitz. Um Pulsnitz, Bischofswerda, Görlitz und Rothenburg/OL. sagt man zur Hintertür Hingertier(e) und um Cunewalde, Ebersbach und Großschönau Hinner- oder Hindertier(e).
Die meisten Ortsnamen in der Oberlausitz sind slawischer Herkunft, die die Deutschen von den Milzenern, den Vorfahren der heutigen Obersorben, übernommen und eingedeutscht haben. Aber mit dem Anlegen von Waldhufendörfern im gebirgigen Süden und im hügeligen Westen und Osten kam es zu rein deutschen Ortsnamen. Die meisten neugegründeten Dörfer enden auf -dorf, wie Hennersdorf, Paulsdorf oder Bernsdorf. Aber es gibt auf dem gesamten Gebiet der Oberlausitz immerhin 20 Orte mit der Endsilbe -walde, 19 mit -bach, 16 mit -hain und 18 mit den Endsilben -berg bzw. -burg. Im Siegerland endet jeder vierte Ortsname auf -bach und in Mittelhessen viele auf -hain, die man in den Oberlausitzer Dorfnamen, wie Weißbach, Oppach, Ebersbach, Petersbach, Ringenhain, Ottenhain, Bremenhain, Königshain wiederfindet. Ein Siedlerschwarm, der aus einem Dorf mit der Endung -hain stammte, wird sich bei der Wahl eines Ortsnamens für die neue Siedlung wiederum für die Endsilbe -hain entschieden haben. Hieß der Führer des Trecks, der sogenannte Lokator, Peter, nannte man das Dorf Petershain, hieß er Leopold, dann eben Leopoldshain.
Aus Rheinhessen, das heute zum Bundesland Rheinland-Pfalz gehört und in dem die meisten Orte auf -heim enden, sind auch einige Siedler in die Oberlausitz gekommen, denn es gibt drei Dorfnamen mit dieser Endung bei uns, nämlich Taubenheim, Bischheim und Gerlachsheim.
Süddeutsche Siedler, die aus Orten stammen, die auf -ach, -reuth, -furth, -grün oder -lingen enden, scheinen kaum unsere Heimat besiedelt zu haben, auch kaum Sachsen (Niedersachsen) und Flamen, diese haben eher Brandenburg besiedelt, bestenfalls die Niederlausitz.
Die Rheinländer, die Siegerländer und die Hessen sind nicht nach Mecklenburg, Pommern, Brandenburg, Ostpreußen, Mähren oder gar auf den Balkan ausgereist, sondern haben den kürzesten Weg in die Oberlausitz gewählt. Man bedenke, dass die Städte Köln und Zittau auf dem gleichen Breitengrad liegen. Wir Oberlausitzer haben stammesgeschichtlich mit den Rheinfranken und Hessen mehr gemeinsam als mit den Bewohnern der heutigen bayrischen Regierungsbezirke Ober-, Mittel- und Unterfranken, die zur Zeit der Ostexpansion ins Egerland ausgewandert sind. Die Ost- oder Mainfranken sind nur „Beutefranken“, ähnlich wie die Franzosen in Frankreich, die durch die Expansion der rheinländischen Franken ins Frankenland eingegliedert worden sind.
Das gerollte r (R) wird bei den Ostfranken im Maingebiet mit der Zungenspitze gebildet, dagegen im Siegerland, im westlichen Mittelhessen und in der Oberlausitz durch Anpressen der Zunge an den Mittelteil des harten Gaumens. Die Zunge bildet eine nach hinten geöffnete Wanne und bleibt regungslos am Gaumen kleben. Die Oberlausitzer Mundart gehört nicht zum Ostfränkischen, einem Oberdeutschen Dialekt, wie es einige Heimatforscher behaupten, sondern vielmehr mit dem Meißnischen, Nordböhmischen und Schlesischen zum Ostmitteldeutschen, wie die Mundarten im Taunus, im Westerwald und im Bergischen dem Westmitteldeutschen zurechnet werden.
Betrachtet man die Orte, in deren Namen das Wort „Franken“ vorkommt, wie Frankenhain, Frankenberg, Frankenthal usw., so sind diese auf die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Sachsen konzentriert, also im west- und ostmitteldeutschem Raum. Die deutschen Siedler, die sich vor etwa 800 Jahren in der Oberlausitz niedergelassen haben, sind auf der Via Regia nach Osten gezogen, im Raum zwischen Königsbrück, Bautzen und Görlitz rechts abgebogen, die Flüsse oder Bäche bergaufwärts gefahren und gelaufen und haben ihre Waldhufendörfer südlich des Siedlungsgebietes der Milzener gegründet. Unsere Vorfahren haben im 12. und 13. Jahrhundert eher im Raum Siegen, Herborn oder Lauterbach gewohnt als in Nürnberg oder Würzburg.
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