Heimatforschung
in der Oberlausitz

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beiträge zur geschichte der oberlausitz - eine bildungsinitiative

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Dr. Volker Dudeck  |  Zittau                                       Dr. Matthias Mägel  |  Dresden

Dr. Hartmut Jentsch  |  Seifhennersdorf                  Pulsnitzer Heimatverein e. V.

Mancher Tourist, der mit dem Zug zum traditionellen Pfefferkuchenmarkt in das Oberlausitzer Städtchen Pulsnitz anreist, wird sich sicher über den Zusatz „Meißner Seite“ am Haltepunkt Pulsnitz Süd wundern, während dies für Einheimische nach wie vor eine geläufige Ortsangabe ist. Hier die geschichtlichen Hintergründe: Der größte Teil des Landes, das man seit dem 15. Jahrhundert „Oberlausitz“ nennt, war ursprünglich von dichten Wäldern bedeckt, in die die Natur einige große Lichtungen eingestreut hatte. Dort siedelten seit der Steinzeit Menschen verschiedener Volksgruppen. Nach dem Abzug der Germanen ließen sich Ende des 7. Jahrhunderts die Vorfahren der heutigen Sorben hier nieder. Als 400 Jahre später deutsche Siedler die Wälder rodeten, Dörfer anlegten und Städte gründeten, kam es zwischen den Bischöfen von Meißen und den Königen von Böhmen immer wieder zu Gebietsstreitigkeiten.

 

Um diese beizulegen, wurde eine sogenannte Berainungskommission gebildet. Ihre Mitglieder begingen die strittigen Territorien und stimmten mit den beiden Landesherren (Bischof Konrad I von Meißen und König Wenzel I. von Böhmen) ab, was wem gehören sollte. Das Ergebnis wurde in der sogenannten Oberlausitzer Grenzurkunde von 1241 festgeschrieben. Die Bezeichnung ist ein wenig irreführend, denn es ging ja nicht um die Grenzen in ihrer Gesamtheit,  sondern nur um die Beilegung strittiger Gebietsansprüche.
Historiker wie Dr. Lars-Arne Dannenberg sprechen deshalb heute lieber von  einer „Berainungsurkunde“. Als Grenze zwischen den bischöflich-meißnischen und den königlich-böhmischen Gebieten wurde im Westen der Fluss Pulsnitz festgelegt. Er entspringt in Ohorn am Westhang des Tanneberges und mündet nach 60 Kilometern als linker Nebenfluss bei Elsterwerda in die Schwarze Elster.

Karte der Oberlasuitz 1906
Karte der Oberlasuitz 1906

Karte der Oberlausitz, 1906

Während der Grenzstreifen rechts vom Flusslauf zu dem Gebietsnamen „Böhmische bzw. Lausitzer Seite“ führte (denn beide Lausitzen waren Länder der Böhmischen Krone), wurde die andere „Meißner Seite“ genannt. Dort waren die Meißner Bischöfe Landesherren, bis 1559 Kurfürst August von Sachsen im Zuge der Reformation die bischöflich-meißnischen Territorien übernahm.

Durch diese Grenzregelung kam es flussabwärts diesseits und jenseits der Pulsnitz zu mehreren Ortsgründungen mit unterschiedlichen Zusätzen. Die Bezeichnungen Meißnisch, MS und M bzw. Böhmisch, OL und L wurden genutzt, um die territorialen Zugehörigkeiten auszuweisen. So gab es sowohl für Pulsnitz als auch für Friedersdorf und Oberlichtenau, jetzige Ortsteile von Pulsnitz, einen meißnisch-sächsischen und einen oberlausitzisch-böhmischen Teil.

Ein typisches Beispiel ist die gegenwärtige Stadt Pulsnitz mit ihren historisch gewachsenen „Ortsteilen“:

Die heutige Stadt, deren Stadtkern sich auf der „Oberlausitzer Seite“ befindet, wurde erstmals 1225 urkundlich erwähnt. Zu diesem Zeitpunkt bestanden eine dörfliche Siedlung im Bereich der heutigen Robert-Koch-Straße, eine kleine Wasserburg im Bereich des Torhauses am Schlosseingang vom Herrenhausplatz und eine Siedlung am Polzenberg. Der Polzenberg ist der älteste Stadtteil von Pulsnitz. Hier befanden sich vermutlich lange vor der Ersterwähnung des Ortes eine sorbische Siedlung und später eine altdeutsche Wasserburg.

Kalenderblatt des Pulsnitzer Heimatvereins e. V.   Mai 2015   |   Polzenberg 

Kalenderblatt des Pulsnitzer Heimatvereins e. V. MaI 2015

Markt- und Stadtrecht erhielt Pulsnitz 1355 bzw. 1375 vom römisch-deutschen Kaiser Karl IV, der als Karl I. auch König von Böhmen war. Das Wappen der Stadt geht der Sage nach auf einen Jagdunfall des Schlossherren von Pulsnitz zurück.

Das Dorf Vollung, später auch „Böhmisch Vollung“ genannt (etwa im Ortseingangsbereich aus Richtung Großröhrsdorf zwischen dem Fluss Pulsnitz und der Großröhrsdorfer Straße gelegen) wurde als selbstständige Siedlung im Jahr 1309 erstmals erwähnt. Auf der westlichen Seite des Flusses entstand das „Vorwerk Meißner Seite“ als selbstständiger Ort (um 1550 nachgewiesen). Der Name „Meißnische Seite“ wurde im Zusammenhang mit einer länglichen Siedlung entlang des Flusses erstmalig 1586 erwähnt.
1921 erfolgte die Vereinigung der Dörfer „Meißner Seite“ und „Vollung“ zur Gemeinde „Pulsnitz MS“. Der verwaltungsmäßige Anschluss von „Pulsnitz MS“ an die Stadt Pulsnitz erfolgte 1945, wurde jedoch erst 1948 durch den Landtag juristisch bestätigt.

 

Im Übrigen steht auch der „Perfert“, eine 1420 erbaute Wehranlage und das einzige derartige noch erhaltene Baudenkmal in Deutschland, auf Meißner Flur.
Die Grenze zwischen MS und OL hatte bis 1635, dem „Prager Frieden“, Bestand: 1620 hatte der protestantische Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen dem katholischen Kaiser Ferdinand II. bei der Niederschlagung des böhmischen Ständeaufstands geholfen. Da der Kaiser diese Kriegsschulden aber nicht zahlen konnte, verpfändete er die Markgraftümer Nieder- und Oberlausitz an den sächsischen Kurfürsten und trat sie ihm im Prager Frieden 1635 endgültig ab. Die Oberlausitz fiel als erbliches böhmisches Lehen an Kursachsen, behielt aber ihre weitgehende Autonomie in ihren inneren Angelegenheiten. Die frühere Grenze zwischen Böhmen und Sachsen verlor danach mehr und mehr an Bedeutung und hörte mit der Annahme der sächsischen Verfassung 1831 auf zu existieren.

Perfert in Pulsnitz

Der Perfert in Pulsnitz

Dr. Matthias Mägel

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